Finanz- und Wirtschaftsspiegel

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Deutsche Ökonomen hoffen auf mildere EZB-Geldpolitik

Erscheinungsdatum Website: 31.10.2019 23:30:04
Erscheinungsdatum Publikation: 01.11.2019

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FRANKFURT (Dow Jones)--Nach dem Ausscheiden von EZB-Präsident Mario Draghi am heutigen Donnerstag dürfte in der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Diskussion über die geldpolitische Strategie beginnen. Viele Jahre hat die EZB ihr Inflationsziel von knapp 2 Prozent nicht erreicht, trotz der sehr lockeren und vor allem in Deutschland hart kritisierten EZB-Geldpolitik mit Staatsanleihekäufen und Minuszinsen. Muss da nicht etwas geändert werden? Deutsche Volkswirte bejahen diese Frage und plädieren für eine Geldpolitik, die der EZB die Möglichkeit gäbe, ihre Politik wenigstens nicht weiter zu lockern. Eine Konferenz der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) in Frankfurt zu diesem Thema litt allerdings streckenweise unter der starken Präsenz radikaler EZB-Kritiker.

Die Diskussion beim ersten geldpolitischen Forum der DVFA drehte sich vor allem um die Frage, ob das derzeitige Inflationsziel - eine mittelfristige Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent - noch angemessen ist. Die Antwort von Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, ist ein klares Nein: "Die Transmission der Geldpolitik hat sich von Konsumentenpreisen zu den Vermögenspreisen verschoben", sagte er. Schnabel ist deshalb der Meinung, dass die EZB bei ihrer Geldpolitik zum Beispiel auch die (stark gestiegenen) Immobilienpreise berücksichtigen müsste.

Schnabl: Zinsen mehrere Jahre lang um 25 Basispunkte erhöhen

Im Ergebnis wäre die Inflation höher, und die EZB könnte aus ihrer expansiven Politik aussteigen. Schnabl schweben dabei jährliche Zinserhöhungen von 25 Basispunkten über mehrere Jahre vor, die den Leitzins in die Nähe des von ihm bei 4 bis 5 Prozent verorteten langfristigen Gleichgewichtszinses bringen würden.

Darüber hinaus stellt der Leipziger Ökonom die Methode der "hedonischen" Preismessung in Frage, bei der die Statistiker Qualitätssteigerungen bei Gütern oder Dienstleistungen in Preissenkungen umrechnen. Nach gängiger Lesart tun sie das nicht stark genug, so dass die gemessene Inflation höher ist als die tatsächliche. Nach Aussage von Volker Wieland, Leiter des Frankfurter Institutes for Monetary and Financial Stability (IMFS), ist das einer der Gründe, warum die Präzisierung der Definition von Preisstabilität als eine Inflation von "unter, aber nahe 2 Prozent" im Jahr 2003 richtig gewesen ist.

Schnabl argumentierte dagegen, die Statistiker berücksichtigten Qualitätssenkungen nicht ausreichend und verwies auf den Einsatz von Plastik bei Haushaltswaren und die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Erbringung von Dienstleistungen. Schnabl glaubt nicht, dass die Statistiker dieser Aufgabe gewachsen sind und schlägt daher vor, Qualitätsänderungen gar nicht zu berücksichtigen.

Wieland plädiert für Berücksichtigung breiterer Inflationsmaße

Volker Wieland plädierte für einen pragmatischen Umgang mit dem bestehenden Inflationsziel. "Man muss ja nicht alleine auf den Verbraucherpreisindex gucken, man könnte breitere Inflationsmaße in die Betrachtung einbeziehen", sagte er unter Verweis auf den Preisindex des Bruttoinlandsprodukts (BIP-Deflator). Auch die Finanzstabilität sollte die EZB seiner Meinung nach berücksichtigen - "aber nicht mechanistisch, indem man Vermögenswertpreise in den Index mit einbezieht", wie er sagte.

Eine stärkere Rolle sollte seiner Meinung nach auch wieder die inzwischen fast bedeutungslose monetäre Säule der geldpolitischen Strategie spielen. Wieland wies darauf hin, dass das Geldmengenwachstum im Vorfeld der Finanzkrise stark gestiegen sei. Wieland will nicht ausschließen, dass eine künftige EZB-Strategie auch Elemente einer Preisniveausteuerung enthalten wird. Im Rahmen einer Preisniveausteuerung würde die EZB versuchen, eine längere Verfehlung des Inflationsziels nach unten durch ein Überschießen der Inflation im Nachgang auszugleichen.

Krämer befürchtet Schwenk zu Preisniveausteuerung

Das ist auch die Prognose von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Für richtig hielte Krämer ein Inflationszielband von 1-1/4 bis 2-1/4 Prozent und eine Politik der "umfassenden Stabilisierung", die auch die Finanzstablität im Blick behält. Für wahrscheinlich hält er allerdings einen Schwenk zu oben beschriebener Politik der Preisniveausteuerung.

"Die Folge ist, dass die Zinsen viel länger niedrig bleiben - vor allem dann, wenn wir bereits an der Nullzinsgrenze sind", sagte Krämer. Dass die Zinsen dort heute überhaupt sind, liegt Krämer zufolge aber auch am Verhalten der EZB selbst. "Das wird klar, wenn man bedenkt, dass sie 30 Prozent aller Bundesanleihen hält", sagte er.

Kerber und Degenhart sehen Überschreitung des EZB-Mandats

Etwas einseitig verlief die Diskussion in einem Panel zum Thema "Die Unabhängigkeit der EZB als institutionelle Versuchung", das der Diskussionsleiter Ulrich Kerber, Ökonom von der TU Berlin, moderierte, der vor dem Bundesverfassungsgericht gegen einzelne EZB-Maßnahmen geklagt hatte - unter anderem wegen Überschreitung ihres Mandats. Er hatte sich seinen ehemaligen Rechtsvertreter in Sachen OMT-Programm, Christoph Degenhart (Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig) zur Verstärkung geholt und außerdem den EZB-kritischen Ökonomen Stefan Homburg (Universität Hannover).

Die Rolle des Verteidigers der EZB fiel dem Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider, zu. Kerber und Degenhart vertraten ihre vom Bundesverfassungsgericht her bekannten Positionen und wurden von mit einladenden IMFS-Chef Wieland darauf hingewiesen, dass die EZB-Programme laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) rechtmäßig seien und dass es auch volkswirtschaftliche Argumente für die EZB-Geldpolitik gebe.

Kerber hatte zuvor von einer EZB-Diktatur gesprochen und Homburg das "politische Projekt Euro" mit dem "politischen Projekt Zweiter Weltkrieg" in Verbindung gebracht.

DJG/hab/kla

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